Soll ich meinem Kind Lösungsbücher an die Hand geben?

Soll ich meinem Kind Lösungsbücher an die Hand geben?

Du hast ja schon die Basic Needs für die gesunde psychische Entwicklung deines Kindes kennengelernt (hier findest du den Beitrag) und die Autonomie ist eines dieser Grundbedürfnisse. Eine einfache Methode, die Autonomie deines Kindes beim Lernen zu stärken, ist ihm die Macht der Kontrolle abzugeben. Aber jetzt wirst du zu Recht fragen: „Arbeitet mein Kind dann überhaupt noch oder schreibt es einfach die Lösungen ab?“

Darum möchte ich dir im Folgenden vier wichtige Aspekte näherbringen, die dir bei deiner Entscheidung helfen sollen, deinem Kind Lösungsbücher zu geben (oder auch nicht).

Die übergreifende Frage nach der Selbstverantwortung

Zunächst einmal, gibt es viele Bereiche, in denen dein Kind mehr oder weniger selbstständig sein kann. Wie weit dein Kind ist, musst du für jeden Bereich getrennt betrachten. Reflektiere auch zuerst einmal deine Einstellung zum Thema Selbstständigkeit. Mit wieviel fühlst du dich wohl? Welche Grundwerte herrschen bei euch zu Hause? Eher selbstständig Denken und Fehler machen dürfen oder fühlt ihr euch mit mehr Anleitung wohler? Nach diesen grundlegenden Überlegungen widme ich mich jetzt aber dem Bereich des Lernens zu.

Die Frage, ab wann dein Kind Verantwortung für sein Lernen übernehmen kann ist keine Frage des Alters, sondern eine Frage der emotionalen Reife und kann deshalb auch nicht allgemein beantwortet werden. Nach dem hier verwendeten Schema sollte dein Kind sich bereits auf dem Weg zur Phase Sinn befinden. Eines ist nämlich klar:

Wer Verantwortung trägt, muss auch mit den Konsequenzen leben.

Darum sollte deine Frage nicht sein, ob dein Kind etwas perfekt managen kann, sondern ob es reif genug ist, die eventuellen Konsequenzen abzuschätzen. Musst du das mit Nein beantworten, kannst du ihm die Verantwortung noch nicht übergeben.

Und mit diesem Punkt eng verwandt ist eine Frage an dich: Hälst du es aus, wenn dein Kind die Konsequenzen tragen muss? Nehmen wir mal an, die Konsequenz wäre wirklich Sitzenbleiben. Damit dein Kind aus seinen Fehlern lernen kann, musst du richtig reagieren (dazu mehr im nächsten Punkt).

Und dir muss klar sein: Ein Kind auf dem Weg zur Selbstständigkeit zu begleiten ist immer anstrengender als einfach die Kontrolle zu übernehmen!

To do: Mache doch eine Liste, mit allen Lebensbereichen deines Kindes und überlege dir, in welchen du mehr Verantwortung abgeben willst!

Und wenn es schiefgeht...?

Schiefgehen bedeutet in diesem Fall, dass dein Kind die Aufgaben entweder gar nicht erledigt oder die Lösungen einfach abschreibt. Beim Abschreiben kannst du dich damit trösten, dass dies immerhin auch noch eine Art von Übung ist, auch wenn die Kontrolle fehlt, ob man es auch alleine geschafft hätte.

Aber auf jeden Fall solltest du schon bevor du deinem Kind Lösungsbücher an die Hand gibst, das Gespräch mit ihm suchen. Redet darüber, dass es überhaupt nichts bringt, diese Abkürzung zu gehen, da vor der nächsten Arbeit ja sowieso gelernt werden muss. Sprecht auch darüber, wozu Hausaufgaben oder zusätzliche Lerneinheiten überhaupt da sind. Nämlich zum Überprüfen, ob ich das Gelernte ohne Hilfe kann.

Und wenn es dann doch in die Hose geht: Lass den Fehler für sich wirken. Bitte reagiere nicht mit einem rechthaberischen „Ich hab es dir ja gesagt“, sondern begleite dein Kind lösungsorientiert („Und was möchtest du jetzt tun?“).

Entziehe auch nicht gleich beim ersten Fehltritt die Verantwortung wieder. Du solltest dir bereits vorher Gedanken gemacht haben, bis wohin du eigenes Stolpern ertragen kannst und willst. Bis dahin sollte dein Kind aus seinen Fehlern lernen dürfen.

Und ganz wichtig: Biete immer mehr Kontrolle an. Vielleicht fühlt sich dein Kind auch überfordert und hätte gerne mehr Führung, hat aber Angst dich zu enttäuschen.

To do: Plane ein Worst Case Scenario und die Stufen dahin um zu entscheiden, ab wann du eingreifen möchtest.

Wie führe ich mein Kind an die Selbstständigkeit heran?

Gut ist es, wenn ihr schon gemeinsam Ziele gesetzt habt und mit einem Wochenplan arbeitet. Solltet ihr das noch nicht getan haben, wäre es jetzt an der Zeit für diese Vorarbeit. Denn ohne ein Warum ist es schwer sich zu motivieren.

Wenn du gerne austesten möchtest, wieviel von der Phase Sinn schon vorhanden ist, kannst du Beispiele von anderen Schülern bringen, die die Lösungen einfach nur abschreiben und dann in der nächsten Arbeit eine schlechte Note kassieren. Frage dein Kind nach der Meinung, so kannst du erkennen, ob es zumindest „im Kopf“ schon das Prinzip verstanden hat.

Du kannst die Verantwortung auch erstmal stufenweise abgeben (erst muss dein Kind die Aufgabe machen, dann gibst du ihm das Lösungsbuch). Lies hier auch meinen Beitrag zur Technik „Scaffolding“. Und ganz wichtig: Stehe auf Anfrage immer als Hilfe zur Verfügung!

Wenn dein Kind freiwillig das Lösungsbuch wieder abgibt, ist dies kein Grund traurig zu sein! Dein Kind hat sich toll selbst eingeschätzt und erkannt, dass diese Aufgabe noch zuviel ist. Es hat damit genauso autonom gehandelt, wie ein Kind, dass sich selbst kontrolliert. Hier könnt ihr dann die exekutiven Funktionen noch etwas stärken und es später nochmal versuchen!

To do: Mach dir eine Liste, in welchen Schritten du die Veränderung einführen möchtest.

Und wenn du doch lieber die Kontrolle behältst ...

... ist das auch vollkommen in Ordnung. Achte aber immer auf das Grundbedürfniss der Verbundenheit indem du deinem Kind erklärst, dass es verstehst, wenn es diese Kontrolle von dir doof findest. Erkläre ihm dann, warum es nötig ist. So schulst du seinen Weitblick und hilfst ihm, die Phase Sinn zu erreichen.

Und dann (dein Kind ist ja schließlich noch in der Phase Spaß) machst du das Lernen so spaßig wie möglich!

To do: Übe Zwang immer mit Verständnis und Erklärung aus!

Ich wünsche dir und deinem Kind viel Erfolg auf dem Weg in die Selbstständigkeit!

Auf eine sinnvolle Lernzukunft!

Deine Claudia

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